Covid-19 hat uns nicht nur in eine medizinische, soziale und wirtschaftliche Krise versetzt: Auch was die Informationsflut betrifft, befinden wir uns in einer Art Ausnahmezustand, werden bombardiert mit martialischer Rhetorik und neuen Begriffen, kommunizieren noch mehr online als bisher schon und erleben, wie Gerüchte und Halbwahrheiten sich schneller als Viren verbreiten. Ein Gespräch mit Andrea Abel, Leiterin des Instituts für Angewandte Sprachforschung.
Wie alle arbeiten die Forscher und Forscherinnen Ihres Instituts derzeit im Home-Office. Berührt die Corona-Krise darüber hinaus ihre Forschungsarbeit direkt?
Andrea Abel: Normalerweise arbeiten wir sehr viel mit Schulen zusammen, doch da im Moment bei keinem unserer Projekte eine Erhebungsphase anstand, leidet die Arbeit in diesem Sinne nicht – ein Zufall. Ganz direkt beschäftigt die Corona-Krise unsere Terminologinnen: Sie sind jetzt sehr gefragt, denn in einer Situation großer Unsicherheit, in der laufend neue Begriffe auftauchen und wichtige Bestimmungen erlassen werden, ist es etwa für die Landesämter, aber auch für die Medien, essentiell, schnell über die richtigen Termini zu verfügen, die ein Konzept in beiden Landessprachen exakt widergeben. Eine Journalistin erklärte zum Beispiel kürzlich in einer Sendung, „Smart Working“ sei eine umgangssprachliche Bezeichnung für „Telearbeit“, was natürlich falsch ist. Bisher in der Bevölkerung kaum oder gar nicht bekannte Begriffe wie „soziale Distanz“ oder „asymptomatischer Patient“ gehören plötzlich zum Alltagswortschatz. In der allgemein zugänglichen Online-Datenbank bistro haben wir bislang schon gut hundert neue Begriffe aufgenommen, die in Zusammenhang mit der Corona-Krise stehen.
Was fällt Ihnen als Sprachwissenschaftlerin derzeit besonders auf?
Andrea Abel: Ich verfolge die Berichterstattung in deutschen und italienischen Medien sehr aufmerksam, und bin erstaunt über die massive Kriegsrhetorik und -metaphorik, die uns da begegnet, ganz besonders in italienischen Berichten: Da sind Krankenschwestern „Soldatinnen an vorderster Front“, Ärzte arbeiten „im Schützengraben“ oder man hofft auf einen „Waffenstillstand“ mit dem Virus. Das ist nicht nebensächlich: Sprachliches „Framing“ – die Schaffung eines Deutungsrahmens – beeinflusst unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit. Wer etwa von „Flüchtlingsflut“ spricht, beschwört eine bedrohliche Naturgewalt herauf. Nun wird also der „Krieg“ gegen das Virus heraufbeschworen. Interessanterweise scheint man da aber in der deutschen Presse viel zurückhaltender zu sein. Das kann historische Gründe haben, nach der Erfahrung des Nationalsozialismus geht man mit Kriegsmetaphern nicht mehr so unbeschwert um. Schaut man sich die lokale Berichterstattung an, sind wir, so mein Eindruck, auf Deutsch und Italienisch gleichermaßen im „Krieg“. Und noch viel martialischer geht es in der US-amerikanischen Presse zu. Inwiefern sich da tatsächlich Unterschiede abzeichnen, fände ich interessant, genauer zu untersuchen, z. B. auf der Grundlage von Sprachkorpora, also großen digitalen Textsammlungen, von journalistischer Prosa oder auch von Social-Media-Kommunikation.
Derzeit werden, vorerst für das Englische, von Forscherinnen und Forschern auch schon Sprachkorpora zu Corona zusammengestellt, anhand derer man später verschiedene Aspekte der Sprachverwendung bzw. Reaktionen auf Entwicklungen oder Maßnahmen in dieser Zeit wird untersuchen können.
Bisher in der Bevölkerung kaum oder gar nicht bekannte Begriffe wie „soziale Distanz“ oder „asymptomatischer Patient“ gehören plötzlich zum Alltagswortschatz.
Ähnlich gefährlich wie die Pandemie sei die Infodemie, hat der Generalsekretär der WHO bemerkt – in Krisenzeiten verbreiten Falschinformationen und Halbwahrheiten sich besonders schnell, mit potentiell verheerenden Folgen.
Andrea Abel: Computerlinguistik kann eine wichtige Rolle dabei spielen, solche Fake News einzudämmen: Es werden zum Beispiel intelligente Algorithmen entwickelt, die beim Erkennen von Falschmeldungen helfen, oder auch Methoden, um jene Inhalte herauszufiltern, die nicht von Menschen, sondern von Bots kreiert wurden. Ich denke, die aktuelle Krise kann hier durchaus Impulse geben, noch mehr in solche Forschung zu investieren.
Andrea Abel,
Leiterin des Instituts für Angewandte Sprachforschung
Wie sehen Sie die künftige Forschungsarbeit ihres Instituts – tun sich da womöglich neue Fragestellungen auf?
Andrea Abel: Interessanterweise passt ein Projekt, für das wir gerade einen Förderungsantrag eingereicht haben, sehr gut zu der neuen Realität. Es geht dabei um die Verbindung von Online-Sprachenlernen und Crowdsourcing. Über eine digitale Lernplattform sollen Menschen kostenlos Sprachen lernen, wobei die Daten, die beim Lösen von Aufgaben entstehen, genutzt werden; so kann einerseits das digitale Lernangebot immer besser den individuellen Bedürfnissen der Lernenden angepasst werden, andererseits erhält die computerlinguistische Forschung sehr viele Sprachdaten, eine Win-win-Situation also. Es ist davon auszugehen, dass sowohl Online-Lehren und -Lernen, das zurzeit an Schule und Universität einen ungeahnten Aufschwung erlebt, als auch die computerlinguistische Forschung weiterhin an Bedeutung gewinnen werden, also auch Projekte wie dieses.
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